Informationsflut, Arbeitsunterbrechungen, Multitasking: Der AMD Salzburg bietet Wege aus der Belastungsspirale infolge des zunehmenden Kommunikationsdrucks in Betrieben.
Dr. B., Facharzt für Orthopädie in einem öffentlichen Krankenhaus, hat gerade eine mehrstündige Operation hinter sich gebracht und ist nun auf dem Weg zur Station, um nach seinen PatientInnen zu sehen. Ein kurzer Blick aufs Handy lässt ihn kurz schaudern: 7 Anrufe in Abwesenheit und fünf neue Sprachmitteilungen! Jetzt vibriert das Handy schon wieder – ein aktueller Anruf. Dr. B denkt kurz nach: Eigentlich wollte er sich in Ruhe auf ein wichtiges Gespräch mit einem Patienten vorbereiten und hat jetzt keine Zeit für längere Telefonate. Soll er später zurückrufen, oder besser gleich, bevor er noch mehr Sprachmitteilungen abhören muss?
Termindruck, Informationsflut und wiederholte Unterbrechungen gehören für viele zum Arbeitsalltag. Viele sind ständig erreichbar, oft sogar immer online – und damit (fast) ununterbrochen ansprechbar. Die Folge ist, dass häufig mehrere Aufgaben gleichzeitig auf die Beschäftigten einprasseln und deren Aufmerksamkeit einfordern. „Ständige Arbeitsunterbrechungen und Multitasking können durchaus zur psychischen Belastung werden", erklärt die arbeitsmedizinische Leiterin im AMD Salzburg, Dr. Ortrud Gräf. „Umso mehr, je häufiger die Unterbrechungen stattfinden oder je ungünstiger der Zeitpunkt ist an dem sie erfolgen."
Prioritäten setzen lernen
Besonders belastend sind Unterbrechungen, wenn die aktuelle Aufgabe eine hohe Konzentration erfordert. Die Bearbeitungszeit einer Aufgabe verlängert sich deutlich beim ständigen Aufgabenwechsel, insbesondere, wenn diese Aufgaben komplex(er) sind. „Nicht jede Unterbrechung ist gleich ein Notfall. Setzen Sie Prioritäten", rät die erfahrene Arbeitsmedizinerin. Besser sei es erst die aktuelle Aufgabe zu beenden, bevor man sich einer neuen Aufgabe zuwendet. „Ist das nicht möglich, bearbeiten Sie die aktuelle Aufgabe bis zu einem Punkt, an dem sie gut unterbrochen werden kann". Grundsätzlich gebe es vier Möglichkeiten um auf eine Unterbrechungssituation zu reagieren: die sofortige Bearbeitung in Notfällen, die verzögerte Bearbeitung, die gleichzeitige Bearbeitung und die Weitergabe von Aufgaben. Je nach Situation muss entschieden werden, welche Variante gerade die effektivste Lösung bietet. Dabei sollten Beschäftigte beachten, dass die sofortige Bearbeitung der Unterbrechungsaufgabe nicht unbedingt die effektivste ist und Multitasking nur eine kurzfristige Alternative sein kann. „Forscher der Universität Michigan haben herausgefunden, dass das menschliche Gehirn um 20 bis 40 Prozent weniger leistungsfähig ist, wenn gleichzeitig statt nacheinander gearbeitet wird. Je komplexer die Aufgaben sind, desto größer ist die Fehlerquote", erläutert Gräf.
Im Fall des gestressten Orthopäden im Krankenhaus führte die Regelung der Sprechzeiten zu einer strukturellen Verbesserung seines Arbeitsalltages. Dr. B sprach das Problem im Rahmen einer Dienstbesprechung an, worauf seitens der Führung verfügt wurde, dass Anrufe von PatientInnen, Angehörigen und dem Pflegepersonal fortan nur noch zu gewissen festgelegten Zeiten an ihn durchgestellt werden dürfen. Nur wirkliche Notrufe werden sofort an ihn geleitet. So kann sich Dr. B allen Arbeitsaufgaben mit voller Konzentration widmen und die verbesserte Tagesstruktur hilft ihm zusätzlich, sich nicht zu verzetteln. Als betriebliche Strategien empfiehlt Arbeitsmedizinerin Gräf Arbeitsbedingungen wie Umgebung, Unterbrechungen, und den Umgang mit neuen Technologien im Sinne der Verhältnisprävention so zu gestalten, dass Belastungen in ihrem Auftreten reduziert werden. Ebenso wichtig sei es die Beschäftigten im Sinne der Verhaltensprävention eingehend zu schulen, um von einer strukturierten Arbeitsweise zu profitieren und sich selbst besser organisieren zu können. Als Beispiele nennt sie Trainings zum persönlichen Arbeitsstil, die Stärkung von Verhaltensweisen zur Wahrnehmung und Handhabung von Stress und Schulungen in Bezug auf ein erfolgreiches E-Mail-Management.
Strukturen und Regeln einführen
Eine bessere Strukturierung von Aufgaben am Arbeitsplatz kann Beschäftigte vor schwerwiegenden psychischen Belastungen bewahren, weiß Mag. Silvia Huber, Leiterin des Bereichs Arbeitspsychologie im AMD Salzburg. Sie berichtet vom Fall eines Außendienstmitarbeiters, der die Zusammenarbeit mit den Sachbearbeiterinnen im Innendienst des Unternehmens als stark belastend erlebte. Zum einen musste er ständig Fragen der Mitarbeiterinnen beantworten, obwohl diese ihn eigentlich unterstützen sollten, zum anderen erhielt er von ihnen immer wieder falsche Kundenadressen wodurch er allzu oft im Nirgendwo ankam. So entstand für den Außendienst-Mitarbeiter ein enormer Druck, weil er ständig bei den Sachbearbeiterinnen die richtigen Daten eruieren musste, was ihn noch mehr Zeit kostete und alle weiteren Kundentermine nach hinten verschob. Aber nicht nur der Außendienstmitarbeiter war verärgert ob der schwierigen Zusammenarbeit. So beklagten sich die Mitarbeiterinnen im Innendienst, die durch vielfältige Tätigkeiten gefordert sind, dass der Kollege ständig etwas von ihnen benötigt.
Mag. Silvia Huber versuchte die Sachlage zu klären und die verhärteten Fronten mit wirksamen Lösungen zu entschärfen. Sie riet dem Innendienst zu einer Checkliste, mit der die Mitarbeiterinnen die erforderlichen Kundendaten erheben und diese auch durch einen Anruf beim Kunden überprüfen sollten, bevor die Daten an den Außendienst weitergegeben werden. Somit erhält der Außendienst die richtigen Kundendaten und -adressen und kann seine Termine zeitgerecht wahrnehmen. Eine weitere Lösungsmaßnahme besteht in der Förderung der Kommunikation und Gesprächsführung speziell im Innendienst. Die Sachbearbeiterinnen sollten in ihrer Wahrnehmung geschult werden, um sich in andere Tätigkeiten hineinzuversetzen und sich zu fragen: „Was macht der Außendienst und welche Unterstützung können wir ihm anbieten?" Dadurch sei gewährleistet, dass die Unterstützung tatsächlich von Seiten der internen Organisation erfolgt und dementsprechend auch beim Außendienst ankommt, so Huber. Zusätzlich riet die erfahrene Arbeitspsychologin zur Einführung einer Kommunikationsstruktur mit Hilfe von regelmäßigen Besprechungen, um anstehende Themen besser bearbeiten zu können: „Gut strukturierte Besprechungszeiten nehmen den Kommunikationsdruck von den Mitarbeitenden, sind klar vorgegeben und jeder weiß, wann eine Klärung von Problemen möglich ist." Eine win-win-Situation für alle Beteiligten, wie die Arbeitspsychologin betont: „Jeder Bereich kann sich außerhalb der strukturierten Besprechungszeiten auf seine eigentliche Tätigkeit konzentrieren und ist nicht mit mehreren Aufgaben gleichzeitig konfrontiert." Die Evaluierung psychischer Belastungen bietet geeignete Verfahren und Instrumente, um den Kommunikationsdruck am Arbeitsplatz zu hinterfragen und besser zu steuern. Nach Erhebung eventueller arbeitsbedingter psychischer Belastungen werden geeignete Maßnahmen abgeleitet, die die Arbeitssituation entscheidend verbessern. „Das können z.B. festgelegte Zeiten zur Abarbeitung von E-Mails sein, wodurch der Kommunikationsdruck steuerbar ist und die Mitarbeitenden wieder Handlungsspielraum erlangen", erläutert Mag. Silvia Huber.
Welche Maßnahmen Unternehmen auch ergreifen um den Kommunikationsdruck zu steuern: wichtig ist, dass sie das Ruder selbst in die Hand nehmen. Das gilt für die Verantwortlichen ebenso wie für die Beschäftigten. Wer sich mit SPAM-Filtern vor einer Flut an unerwünschten E-Mails schützt oder für eine übersichtliche Ordner-Struktur und E-Mail-Verwaltung Regeln im Mailprogramm erstellt, spart sich viel Zeit und Ärger. Anruf- und SMS-Filter am Handy können nützlich sein, um nicht ständig für gewisse Rufnummern und Nachrichten verfügbar zu sein. Ideal für ungestörtes Arbeiten und Ruhepausen ohne Handyklingeln sind Funktionen wie Rufumleitung und Anrufsperre.